Cortona (Toskana)

Abschied von Cortona

 

… Der Weißhaarige im schwarzen Anzug, 
einen Blumenstrauß eingewickelt, 
unterwegs wohin?


Und immer kommt er schneller, als du dachtest – der Tag, an dem du weißt: Heute muss ich zurück. Muss Abschied nehmen von der Toskana. Ihren Städten und Hügeln. Der Harmonie von Mensch und Natur, die du in den vergangenen Wochen so verinnerlicht hast.

 

Cortona, 3. August 1997. Ein letzter Cappuccino auf der Piazza Signorelli, bevor du fährst. Du blätterst in der Zeitung. Der Corriere della Sera packt einmal mehr das, was vom letzten Jahrtausend bewahrenswert ist, in die valigia per il 2000: Giotto, Piero della Francesca, Kafka, Loos – da salvare, zu bewahren, meint Massimo Cacciari, Philosoph und Sindaco von Venedig. Dagegen Picasso, Jung, Hesse, Proust – da buttare, zu vergessen. Auch ich packe in diesem Moment meinen Koffer …

 

Piazza Signorelli, in den Sonnenstrahlen des Sonntagmorgens. Die Gespräche der Signori, die als erste die Piazza für sich beanspruchen. Stehen. Schweigen. Sprechen. Da salvare. Die Bambina mit ihrer schlanken, hochgewachsenen Mutter, die in diesem Moment die Bar betritt. Da salvare. Der Weißhaarige im schwarzen Anzug, einen Blumenstrauß eingewickelt, unterwegs wohin? Da salvare. Der Eisverkäufer von nebenan, der sich jedesmal um Mitternacht, wenn sich die Gelateria leert, auf sein dreirädriges Lieferfahrrad schwingt und seine Runden in der stiller werdenden Stadt dreht, mal nimmt er auch ein Kind in seinem Eiskoffer mit. Da salvare. Die Linie des Schattens über der Piazza, diesseits der Kühle stehen die diskutierenden Signori. Da salvare. Die Domglocken, die Tauben in den blauen Himmel scheuchen. Da salvare.

 

Das ältere Paar, beide graumeliert, gemächlichen Schrittes die Piazza querend. Da salvare. Cinzia, die Blonde, von der Pizzeria Fufluns. Monica, die Dunkelhaarige, von der Trattoria Dardano – erst gestern stand sie wie verwandelt auf der Piazza, mit der ganzen Eleganza ihrer Jahre und dem darauf aufmerksam gewordenen Freund, auf dessen Knie sie saß. Ihre Umarmung, ihre Worte. Der Kopf des Freundes, der sich an ihre Schulter lehnte. Da salvare. Der steinerne Löwe über der Säule am Palazzo del Comune, dessen Antlitz Sonne und Regen bereits unkenntlich gemacht haben, nicht aber seine majestätische, nach oben strebende, bewahrende Gestalt. Da salvare …

 

Ciao, Cortona.


© Günter Exel